Galaxy S9: Samsungs neunte S-Klasse im Test

Kamera: Ein bisschen mehr Lichtstärke, viel mehr Spielerei

Variable Blende bietet geringe Vorteile

In diesem Modelljahr legt Samsung den Fokus so sehr auf die Kamera wie bei keiner Galaxy-S-Generation zuvor. Denn das S9 bietet zusammen mit dem S9+ als erste Smartphone überhaupt ein Objektiv mit variabler Blendenöffnung. Bislang beherrschten nur herkömmliche Kameras diese Fähigkeit. Sie ermöglicht S9-Nutzern, im Pro-Modus der sehr gut ausgestatteten Kamera-App von Blende f1.5 zu f2.4 wechseln. Doch obwohl Samsung dafür im großen Stil die Werbetrommel rührt, ist der Vorteil in der Praxis gering.

Schließlich sind nur sehr wenige Szenarien denkbar, in denen Nutzer die kleinere Blende f2.4, die weniger Licht durchlässt, in Betracht zu ziehen. Theoretisch könnte sie bei künstlerischen Langzeitbelichtungen hilfreich sein, wenn der Blendenwert f1.5 zu einer Überbelichtung führen würde. Doch erfahrungsgemäß genügt auch Blendenwert f2.4 nicht, um die Verschlusszeit für Leuchtspuren und Wischeffekte in der Dämmerung zu verlängern. In diesem Punkt hat Samsung noch ein gutes Stück vor sich, denn bei herkömmlichen Kameras würden Nutzer Blendenwerte zwischen f16 und f22 verwenden.

Beispielbild mit f1.5-Blende

Beispielbild mit f2.4-Blende

Wer sich alternativ von der Wahl der f2.4-Blende eine größere Tiefenschärfe verspricht, dürfte vom Ergebnis enttäuscht sein. Die Schärfeebene ist nur unwesentlich größer als bei Blende f1.5, wie unsere Testfotos von der Hyazinthe demonstrieren.

Fotografen werden Lichtstarke f1.5-Blende lieben

An den Blendenwerten zu feilen, ist dennoch eine gute Idee. Der im Vergleich zur Vorgängergeneration nochmals herunter geschraubte Blendenwert von f1.5 ist Spitze und trägt weiter dazu bei, dass das Galaxy S9 auch bei wenig Licht noch verwacklungsfreie Bilder ohne Rauschen realisiert. Lichtstärker ist kein anderes Smartphone, auch nicht die bisherigen Spitzenreiter LG V30 und Huawei Mate 10 Pro (beide jeweils f1.6).

Auch die restliche Foto-Hardware rund um den 12-Megapixel-Sensor überzeugt im Test und ermöglicht eine technische Bildqualität auf Smartphone-Spitzenniveau. Bedauerlich ist dabei, dass Samsung das S9 mit nur einer statt wie beim S9+ mit zwei Optiken ausstattet. Schließlich wird eine Dual-Kamera immer mehr zum Standard. So müssen S9-Nutzer weiter mit einer nicht für alle Situationen optimalen Weitwinkel-Brennweite Vorlieb nehmen, während beim S9+ dank des zweiten Teleobjektivs vorteilhaftere Porträts gelingen.

Einen Bokeh-Effekt simuliert die Kamerasoftware des S9 jedoch auch ohne die Tiefenmessung einer zweiten Kamera sehr ordentlich. Die als „Selektiver Fokus“ bezeichnete Funktion steht dem S9+ kaum nach, ermöglicht jedoch keine Regulierung der Tiefenschärfe per Regler.

Super-Zeitlupe als verpixelte Wundertüte

Eine weitere größere Neuerung ist die Super-Zeitlupe, mit der Nutzer Schlüsselmomente bei actionreichen Video-Gelegenheiten besonders verlangsamen können. Registriert die Kamera sehr schnelle Bewegungen in einem mit einem Viereck gekennzeichneten Bereich des Bildes, nimmt sie die Sequenz mit bis zu 960 Bildern pro Sekunde auf. Der Rest des Videos läuft in Normalzeit ab. Dadurch entsteht ein Effekt, der den „Bullet Time“-Szenen im Film ”The Matrix“ oder dem Videospiel „Max Payne“ ähnelt.

Allerdings müssen Nutzer dabei Pixelbrei in Kauf nehmen. Denn mehr als den mickrigen 720p-Standard (HD ready) bietet die Super-Zeitlupe nicht. Das ist kein zeitgemäßer Sehgenuss! Außerdem ist die Funktion zu unflexibel, um gezielt Einfluss auf die Szenen-Auswahl zu nehmen. In unserem Test in einer Trampolin-Freizeithalle entschied sich die Software häufig für nebensächliche Bewegungen anstatt für die Höhepunkte des Geschehens. Damit ähnelt das Erfolgserlebnis dem bei einer Wundertüte.

Träge AR-Umsetzung: 3D-Emoticons mit Gesichtslähmung

Mit Apps wie Bitmoji das eigene Konterfei in ein Emoticon zu verwandeln, liegt im Trend. Neben Apple und Sony integriert auch Samsung diese Funktion in die eigene Kamera-App und fügt per Augmented Reality zudem animierte 3D-Effekte hinzu. Dabei vermessen wahlweise die Rück- und die Frontkamera das Gesicht des Betrachters und erstellen daraus ein Abbild im animierten Comic-Look. Dieses AR-Emoji, wie Samsungs Eigenbezeichnung lautet, können Nutzer als Einzelbild oder animiertes GIF verschicken.

AR Emoji von BertiQuelle: Berti Kolbow-Lehradt / handy.de

Der Scan der Gesichtsmerkmale führt dabei zu teilweise verblüffend realistischen Ergebnissen. Beispielswiese besitzt der Avatar Narben an der gleichen Stelle wie das reale Vorbild. Die automatische Erkennung von Gesichtsform, Frisur und Haarfarbe hat hingegen meist nur wenig mit dem Original gemein. Zudem übersetzt die Kamera-App die Mimik nur sehr träge und ungenau. Teilweise wirken die Reaktionen dann wie bei Patienten nach einem Schlaganfall. Daher sind AR-Emojis ein amüsanter Party-Gag, taugen aber nicht als zwingendes Kaufargument für das Galaxy S9..

Zwischenfazit Kamera

Das Galaxy S9 setzt die Tradition üppig ausgestatteter Kamera-Apps und technisch überzeugender Bildqualität in der Galaxy-S-Serie fort. Das besonders lichtstarke Objektiv mit f1,5er-Blende ist Gold wert. Im Gegensatz dazu sind die variable Blende, Super-Zeitlupe und AR-Emojis keine überzeugenden Kaufanreize. Der Verzicht auf eine Dual-Kamera ist nicht mehr zeitgemäß.

Akku: Energieverschwender Galaxy S9 lässt die Akkuprozente purzeln

Die Akkulaufzeit ist die Problemzone in der Smartphone-Welt. Wann beseitigt mal ein Hersteller die chronische Energieklemme des mobilen Alltags? Samsung ist dies mit Galaxy S9 jedenfalls noch nicht gelungen. Im Gegenteil. In unserem harten, 24-stündigen Test-Parcours schneidet der 3.000-mAh-Akku des Top-Smartphones nur mittelmäßig ab.

Denn nur noch 32 Prozent Kapazität verblieben dem Energiespender nach achtstündiger aktiver Nutzung. In diesem Zeitraum haben wir mit dem Samsung-Smartphone jeweils eine halbe Stunde HD-Video und Musik gestreamt, ein 3D-Spiel gezockt, fotografiert und gefilmt, danach im Browser gesurft und schließlich Social Media gecheckt. Nach der der anschließenden 16-stündigen Standby-Phase robbte der Akku mit 6 Prozent Kapazität bereits im roten Bereich.

Immerhin schlug sich das S9 im Test besser als sein größeres Geschwisterchen, das S9+. Ihm gingen nach 22 Stunden die Lichter aus. Das größere Display zieht eben noch mehr Strom. Selbst, wenn wir berücksichtigen, dass wir dem Akku in unserem Parcours mit aktiviertem WLAN, Bluetooth und GPS alles abverlangt haben, ist das kein glorreiches Ergebnis. Für einen Hersteller, der den Anspruch hat, Maßstäbe zu setzen, ist das nicht standesgemäß.

Lässt sich das Galaxy S9 wenigstens wieder schnell mit neuer Energie betanken? Jein. Ein Schnelladeverfahren kann nur in Verbindung mit einer induktiven Dockingstation zum Einsatz kommen. Die gehört aber nicht zum Lieferumfang und schlägt extra zu Buche. Per USB-Kabel fließt der Strom hingegen nur im Standardtempo, weil Samsung beim S9 auf die Quick-Charge-Funktion verzichtet.

Zwischenfazit Akku

Ein sparsamer Umgang mit der wertvollen Akkukapazität ist nicht die Stärke des Galaxy S9. Das Energiemanagement ist zwar nicht so blamabel wie beim S9+, aber dennoch nicht eines Flaggschiffes unwürdig. Vielleicht kann Samsung mit einem Software-Update nachbessern.

Schnittstellen und Sensoren: Finger schlägt Auge

Die Erfahrung lehrt, das Display gehört gesperrt. Schließlich möchte niemand Unbefugte in den persönlichen Daten schnüffeln lassen. Für den rechtmäßigen Besitzer sollte das Gerät jedoch auch komfortabel zu entsperren sein. Das S9 bietet Nutzern in punkto biometrische Entsperrmethoden so viel Auswahl wie kein anderes Smartphone. Nutzer können wahlweise ihren Finger, ihre Iris und ihr Gesicht verwenden.

Im Test erweist sich die Bedienung des Fingerabdrucksensors als praktischste Methode. Zwar erkennen die jeweiligen Sensoren auch die Iris und Gesichtsmerkmale zuverlässig. Doch beide Varianten dauern einfach einen Tick länger als die händische Alternative. Außerdem müssen wir das Gerät dafür direkt vor die Nase halten. Im Vergleich dazu akzeptiert das S9 den Fingerabdruck auch dann, wenn sich das Smartphone bequem auf Hüfthöhe befindet. Der gut erreichbare Fingerabdruckscanner ist übrigens nur zum Entsperren gedacht. Navigationsfunktionen erfüllt er nicht.

Samsung Galaxy S9 in Coral BlueQuelle: Berti Kolbow-Lehradt / handy.de
Der Fingerabdruckscanner ist gut platziert. Fehlbedienungen erlebten wird nicht.

Auch die Ausstattung mit Schnittstellen ist bei Samsungs neuem Spitzen-Smartphone vorbildlich. Neben dem Micro-SD-Schacht runden auch ein Slot für USB Typ-C sowie eine Klinkenbuchse das Paket ab.

Zwischenfazit Schnittstellen und Sensoren

Den Vergleich von Oberklasse-Smartphones entscheiden manchmal Details. Das Galaxy S9 punktet mit einer opulenten Ausstattung an Schnittstellen und Sensoren.

Preis: Samsung dreht die Preisspirale zu weit nach oben

In Deutschland startet das Galaxy S9 offiziell für 849 Euro in den Handel. Somit ruft Samsung 50 Euro mehr auf als beim Vorgänger. Zwar bietet das Oberklasse-Smartphone Top-Leistungen in vielen Bereichen und gehört zurecht wieder zur Marktspitze. Aber als verbesserte Neuauflage des S8 kann das Modell überwiegend nur zusätzliche „Nice to have“-Features vorweisen. Gleichzeitig schmilzt der technologische Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb, sodass viele Herausforderer für weniger Geld ein im Alltag völlig ausreichendes Smartphone-Erlebnis bieten können. Daher halten wir den Preis für das S9 als zu hoch angesetzt.