Samsung Galaxy S9+ im Test : Neuauflage des S8+ mit starker Dual-Kamera

Kamera des Galaxy S9+: Kreative Fotos, Zeitlupen und Augmented Reality im Fokus

Variable Blende: Noch nicht weit genug gedacht

Das Glanzstück der aktuellen Galaxy-S-Generation ist die Kamera. Zum Einsatz kommt dabei, wie schon im Note 8, eine Dual-Kamera mit einem Weitwinkelobjektiv und einer doppelt so langen Brennweite, die in den Normal- bis Telebereich geht. Zwei Brennweiten einsetzen zu können, erweitert den kreativen Spielraum von Fotografen erheblich.

Samsung hat die Bildsignalverarbeitung der beiden 12-Megapixel-Sensoren und die Bildaufbereitungsalgorithmen sehr gut aufeinander abgestimmt. Die Bildqualität ist nämlich sehr überzeugend, sowohl bei gutem als auch bei schwachem Umgebungslicht. Zwar finden wir die JPG-Dateien etwas überschärft, aber diese Empfindung geht schon in den Bereich der Geschmacksfrage über.

Dazu, dass das Galaxy S9+ auch mit wenig Licht gut umgehen kann, tragen die besonders weit geöffneten Objektive bei. Der nochmals herunter geschraubte Blendenwert von f/1.5 ist Spitze und übertrumpft damit das LG V30 und Huawei Mate 10 Pro (f/1.6).

Als Weltneuheit präsentiert Samsung in der neunten Galaxy-S-Generation erstmals in einem Smartphone ein Objektiv mit variabler Blendenöffnung. Diese Fähigkeit war bislang klassischen Kameras vorbehalten. Dadurch können Nutzer im Pro-Modus der sehr gut ausgestatteten Kamera-App von f/1.5 zu f/2.4 wechseln. Obwohl Samsung über alle Maßen die Werbetrommel für dieses Kameramerkmal rührt, ist dessen praktischer Mehrwert gering.

Kameratest des Galaxy S9+ mit einer f1.5 BlendeQuelle: Berti Kolbow-Lehradt / handy.de
Kameratest des Galaxy S9+ mit einer f1.5 Blende
Kameratest des Galaxy S9+ mit f2.4 BlendeQuelle: Berti Kolbow-Lehradt / handy.de
Kameratest des Galaxy S9+ mit einer f2.4 Blende

Denn es gibt kaum einen Grund für Smartphone-Fotografen, nicht den Blendenwert von f/1.5 zu wählen. Die kleinere Blende f/2.4, die weniger Licht durchlässt, kommt nur dann in Frage, wenn Nutzer künstlerische Langzeitbelichtungen vornehmen wollen und f/1.5 dafür zu hell wäre und eine Überbelichtung provozieren würde. Allerdings lassen sich Leuchtspuren und Wischeffekte in der Dämmerung auch mit f/2.4 noch nicht realisieren. Bei herkömmlichen Kameras würden Nutzer Blendenwerte zwischen f/16 und f/22 wählen. Hier hat Samsung die Kamera also noch nicht weit genug gedacht.

Auch beim Aspekt der Tiefenschärfe bietet die variable Blende wenig Wirkung. Schließlich ist angesichts des kleinen Smartphone-Sensors die Schärfeebene der f/1.5-Einstellung schon groß genug, f/2.4 erhöht sie nur unwesentlich. Unsere Testfotos von der Hyazinthe veranschaulichen dies.

Die Testbilder in der Übersicht

Super-Zeitlupe mit geringer Auflösung

Ebenfalls neu ist die Möglichkeit, Schlüsselmomente bei actionreichen Video-Gelegenheiten in Super-Zeitlupe aufzunehmen. Dabei läuft der Großteil des Videos in Normalzeit ab. Registriert die Kamera jedoch besonders schnelle Bewegungen in einem mit einem Viereck gekennzeichneten Bereich des Bildes, nimmt sie die Sequenz mit bis zu 960 Bildern pro Sekunde auf. Nach der Aufnahme lassen sich diese Schlüsselmomente in Super-Zeitlupe abspielen, was einen Effekt wie im Film ”The Matrix“ erzeugt.

Was aufregend klingt, betrachten wir jedoch lediglich als unterhaltsamen Party-Gag. Denn für präzise Slow-Motion-Filmerei ist die Funktion zu unflexibel. Schließlich haben Nutzer praktisch keinen Einfluss darauf hat, welche Momente in Super-Zeitlupe dargestellt werden. In unserem Test in einer Trampolin-Freizeithalle entschied sich die Software häufig für nebensächliche Bewegungen anstatt für die Höhepunkte des Geschehens.

Darüber hinaus reduziert die Super-Zeitlupen-Funktion die Auflösung auf den HD-ready-Standard 720p. Dadurch wirken die Aufnahmen zum Teil äußerst pixelig und vermiesen das Seherlebnis.

Smiley-Karikaturen in Augmented Reality

Nachdem Apple mit Animojis bewegte 3D-Emoticons ins Gespräch gebracht hat, rüstet auch Samsung diese Option nach. Beim Galaxy S9+ heißt die Funktion AR-Emoji. Dabei vermessen wahlweise die Rück- und die Frontkamera das Gesicht des Betrachters und erstellen daraus ein Abbild im animierten Comic-Look. Als Icon in der Tastatur verfügbar, können Nutzer den AR-Emoji in vielen Varianten per Messenger-App verschicken.

AR-Emoji von Berti Kolbow-LehradtQuelle: Berti Kolbow-Lehradt / handy.de
Der AR-Emoji von Berti.

Zum Teil beeindruckend finden wir im Test den Realismusgrad. Details wie Narben oder Warzen finden sich auch beim Avatar wieder. Die automatische Erkennung des Gesichts- und der Haarfarbe hängt hingegen sehr stark von gutem oder schlechtem Umgebungslicht ab. Außerdem ist die Übersetzung der Mimik träge und ungenau. Da eine Gratis-App wie Bitmoji kaum weniger bietet, sind Samsungs AR-Emojis ein amüsantes Gimmick, das die Kaufentscheidung für oder gegen das teure Gerät nicht beeinflussen sollte.

Zwischenfazit Kamera

Das Galaxy S9+ bietet im Test neben einer üppig ausgestatteten Kamera-App auch eine überzeugende Bildqualität auf höchstem Smartphone-Niveau. Die Lichtstärke der f/1.5-Linse und das Teleobjektiv samt Bokeh-Effekt bieten echten Mehrwert. Allerdings sind die variable Blende, Super-Zeitlupe und AR-Emojis nur mehr ”nice to have“. Diese Features sind einfach noch nicht ausgereift genug, um  als Kaufargument zu dienen.

Akku: Das Galaxy S9+ ist zu gierig beim Stromverbrauch

Weil wir von einem Flaggschiff-Smartphone viel erwarten, haben wir das Galaxy S9+ eine harten, 24-stündigen Test-Parcours durchlaufen lassen. Dabei hat sich das Gerät nicht begeisternd geschlagen, obwohl der Akku mit einer Kapazität von 3.500 mAh überdurchschnittlich gut munitioniert ist.

Denn schon nach achtstündiger aktiver Nutzung ging der Energiespender mit nur noch 27 Prozent Kapazität auf dem Zahnfleisch. In diesem Zeitraum haben wir mit dem Samsung-Smartphone jeweils eine halbe Stunde HD-Video und Musik gestreamt, ein 3D-Spiel gezockt, fotografiert und gefilmt, danach im Browser gesurft und schließlich Social Media gecheckt. Es sollte eine 16-stündige Standby-Phase folgen, in der es der Akku nicht mehr über die Ziellinie schaffte. Bereits nach insgesamt 22 Stunden Laufzeit verließen das Galaxy S9+ sämtliche Kräfte.

Zwar haben wir dem Akku in unserem Test-Parcours alles abverlangt. So blieben während der gesamten Zeit über WLAN, Bluetooth und GPS aktiviert, was eher dem Szenario eines Heavy Users entspricht. Aber trotzdem haben wir vom Marktführer einfach ein besseres Energiemanagement erwartet. Denn insbesondere in der Standby-Phase über Nacht ging zu viel Kapazität verloren. Im Vergleich dazu hat sich das kleinere Geschwisterchen, das Galaxy S9, etwas besser geschlagen. Dies verdeutlicht ein Manko bei den großen XXL-Displays. Sie zu beleuchten kostet einfach viel Strom.

Leider lässt sich das Galaxy S9+ zumindest per Kabel auch nicht im Schnellverfahren aufladen. Denn auf die Quick-Charge-Funktion hat Samsung bei diesem Modell verzichtet. Nur beim induktiven Laden kann ein Schnelladeverfahren zum Einsatz kommen, sofern die Dockingstation damit kompatibel ist.

Zwischenfazit Akku

Bei der Energieversorgung blamiert sich Samsungs neues Top-Gerät. Denn mit dem Strom des an sich nicht kleinen Akkus weiß das Modell in unserem Test nicht gut hauszuhalten. Das ist nicht standesgemäß für ein Gerät mit Referenzanspruch. Wir hoffen, dass ein Software-Update die Algorithmen für das Energiemanagement überarbeitet.

Schnittstellen und Sensoren: Guck‘ mal, wer da drückt!

Die Ausstattung mit Schnittstellen und Sensoren ist bei Samsungs neuem Spitzen-Smartphone vorbildlich. An Standards wie einem Micro-SD-Schacht und einem Slot für USB Typ-C spart Samsung ebenso nicht wie an einer Klinkenbuchse. Nicht jeder möchte eben auf Bluetooth-Kopfhörer angewiesen sein oder ständig mit den passenden Adaptern herumrennen.

Zum Entsperren des Displays können Nutzer ihren Finger, ihre Iris und ihr Gesicht verwenden. Diese Auswahl ist nirgendwo sonst zu finden. Ob du Dich für das Scannen von Gesichtsmerkmalen oder Deines Auges entscheidest, solltest Du davon abhängig machen, ob Du Brillenträger bist oder nicht. Die Iris-Erkennung wird von Samsung nur ohne Sehhilfe empfohlen und funktionierte folgerichtig auch nicht, als wir eine aufsetzten.

Was Geschwindigkeit und Präzision betrifft, bevorzugten wir im Test jedoch den Fingerabdrucksensor. Denn offenbar wurde der Sensor nicht nur neu platziert, sondern auch technisch verbessert. Eine so rasend schnelle und genaue Entsperrung per Fingerabdruck kennen wir sonst nur von Huawei-Smartphones. Auf eine Navigationsfunktion wie bei Huaweis Fingerabdruckscannern verzichtet Samsung jedoch.

Zudem ist der Einsatz des Fingers im Alltag praktischer. Diese Entsperrmethode funktioniert nämlich auch dann, wenn wir das Gerät nicht direkt vors Gesicht halten. Außerdem setzt der Iris- und Gesichtsscan erst das Drücken der Standby-Taste und einen Wisch über den Sperrbildschirm voraus. Umständlich!

Zwischenfazit Schnittstellen und Sensoren

In punkto Schnittstellen und Sensoren lässt Samsung es an nichts vermissen. So kommunikationsfreudig ist kaum ein Smartphone.

Preis: Samsung will zu viel für das S9+

Für das Galaxy S9+ mit 64 GB Speicher ruft Samsung zum Marktstart einen Preis von 949 Euro auf. Für die nur im Online-Store von Samsung erhältliche 256-GB-Version werden gar 1.049 Euro fällig. Natürlich ist das Gerät im Vertrag zum Teil günstiger und per Ratenzahlung zu haben. Dennoch stellt sich die Frage: Ist das Galaxy S9+ seinen hohen Preis wert?

Das Galaxy S9+ ist in vielerlei Hinsicht einfach ein tolles Flaggschiff, das zurecht wieder zur Marktspitze gehört und daher auch teuer sein darf. Dennoch bietet es im Test gegenüber dem Vorgänger S8+ überwiegend Neuigkeiten, die wir im ”Nice to have“-Bereich verorten. Dennoch kostet das S9+ zum Marktstart 50 Euro mehr als sein ohnehin schon hochpreisiger Vorgänger. Da der Wettbewerb im Android-Bereich sehr eng ist und Herausforderer für weniger Geld ein im Alltag völlig ausreichendes Smartphone-Erlebnis bieten, halten wir den Preis für das S9+ als zu hoch angesetzt.