Huawei P20 Pro: Gesichtserkennung lässt sich mit Foto überlisten

Update vom 18. Mai 2018: Selfie-Entsperrung funktioniert nicht mehr

Nach gut 7 Wochen haben wir die Gesichtserkennung des Huawei P20 Pro erneut mit dem gleichen Selfie auf dem gleichen iPhone X getestet. Dieses Mal ließ sich die Gesichtserkennung auch nach mehreren Versuchen nicht mit dem Selfie austricksen. Huawei scheint also still und heimlich mit einem Update das Sicherheitsproblem beim P20 Pro behoben zu haben. Zu 100 Prozent sicher scheint die Entsperrmethode der P20-Serie aber immer noch nicht sein. In einem Gegentest mit einem „normalen“ P20 und einem Selfie, ließ sich das P20 nach mehreren Versuchen mit dem Selfie auf dem iPhone X entsperren.

Stand Original-Artikel vom 5. April 2018

Während die ersten ausführlichen Handy-Tests zum neuen Huawei P20 Pro das Internet füllen, sind auch wir mitten in unserem Testablauf. Neben der beeindruckenden Triple-Kamera bietet das Smartphone viele weitere Features, die in Tests hervorgehoben werden. Die Gesichtserkennung beispielsweise. Die funktioniert angeblich viel besser als Apples Face ID im iPhone X. Dass das Feature namens Face Unlock selbst in einem teuren Flaggschiff immer noch höchst unsicher angeboten wird, wollen wir nun einmal zur Diskussion stellen, denn wir konnten das P20 Pro mit einem Selfie auf dem iPhone-X-Display entsperren.

Der neue Star am Huawei-Himmel erzielt nicht ohne Grund Top-Bewertungen und sorgte in den vergangenen Tagen in der Tech-Szene für mächtig Gesprächsstoff. Auch der Preis ist in aller Munde: Knapp 900 Euro verlangt Huawei für die Pro-Version des P20. Dafür gibt es aber nicht nur eine beeindruckende Triple-Kamera und ein hochauflösendes OLED-Display, sondern mit Googles Face Unlock auch eine zuverlässig unsichere Gesichtsentsperrung. Neu ist das nicht, aber es scheint erneut niemanden zu interessieren.

Oberklasse mit Sicherheitsmängeln

Höher, schneller, weiter. Das Motto zahlreicher Smartphone-Hersteller, die sich im verbitterten Kampf um die Marktführer-Weltherrschaft befinden. Neben Samsung, Huawei oder Apple, mischt neuerdings auch Xiaomi auf dem europäischen Smartphone-Markt mit. Trotz fehlender eigener Innovationen im Bereich Künstlicher Intelligenz verbauen Hersteller in immer mehr Geräten den neueste Schrei in Sachen KI-Prozessoren, und trotz fehlender Notwendigkeit, kommt wohl in wenigen Tagen mit OnePlus der erste Smartphone-Hersteller mit 8 GB RAM in einem Handy daher. Eine Frage stellt sich dieser Tage wohl vermehrt: Wie steht es eigentlich um unsere Datensicherheit? Und wieso gibt es da keinen Aufschrei, dass ein so teures Oberklasse-Smartphone wie das Huawei P20 Pro problemlos mit einem Selfie entsperrt werden kann?

Huawei P20 Pro und iPhone X im großen Vergleich

Das Huawei P20 Pro erobert Blogger- und Tech-Herzen im Sturm. Auf weiten Strecken völlig zurecht. Die erste Triple-Kamera von Leica konnten wir bereits ausführlich unter die Lupe nehmen – das Huawei P20 Pro wird knapp vor dem Galaxy S9+ in vielen Jahren als Meilenstein in der Smartphone-Fotografie gelten. Auch in Sachen Design hat Huawei abgeliefert und mit dem P20 Pro makellose Arbeit geleistet.

Face Unlock ist nicht zeitgemäß

Auch der Akku-Test ist in der Presse überwiegend vielversprechend, atemberaubend. Rundum ist das P20 Pro also ein Flaggschiff, wie es im Buche steht. Bis jemand daherkommt und das Wort „Gesichtsentsperrung“ in den Mund nimmt.

Die funktioniert nämlich alles andere als elegant oder zeitgemäß. Das scheint bei vielen begeisterten Smartphone-Fans jedoch nicht wirklich zum Problem zu werden, im Gegenteil: Die Gesichtsentsperrung des Huawei P20 Pro wird bereits in mehreren internationalen und renommierten Online-Medien als „zuverlässig“ und „schnell“ ausgezeichnet. Huawei selbst hatte während der Präsentation in Paris zwar nur am Rande mit der Entsperrmethode „Face Unlock“ angegeben. Aber interessanterweise direkt im Vergleich zum Konkurrenz-Produkt von Apple.

Schneller als das iPhone X

Das iPhone X war ohnehin in den vergangenen Monaten Gegenstand zahlreicher Keynotes, die nicht von Apple abgehalten wurden. Da stellen Hersteller Vergleiche an, was die Prozessorleistung angeht, Benchmarkwerte im Multi- und Single-Core-Bereich, Benchmarks der Dual- und Triple-Kameras. Es wird verglichen in Sachen Akku, verglichen, was das Zeug hält. Auf Werbe-Ebene ist das verständlicherweise nur in den Bereichen so, in denen das Android-Smartphone auf dem Papier bessere Werte erzielt als das iPhone. So auch die Gesichtserkennung im neuen Huawei P20 Pro. Die ist auch in unserem Test deutlich schneller. Deutlich zuverlässiger ist sie ebenfalls.

Das Wort „zuverlässig“ ist wohl aber mit Vorsicht zu genießen. Das Huawei P20 Pro entsperrt das Display während unseres Tests in Dunkelheit in neun von zehn Fällen per Gesichtserkennung „zuverlässig“. Das iPhone X entsperrt das Display in Dunkelheit in unserem Test in sieben von zehn Fällen per Gesichtserkennung „zuverlässig“. Aber: Das iPhone X schützt seine Inhalte über Face-ID in zehn von zehn Fällen „zuverlässig“.


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Das Huawei P20 Pro schützt seine Inhalte per Gesichtserkennung in null von zehn Fällen „zuverlässig“. Wir konnten das Gerät mit einem Selfie unserer Chefredakteurin Katharina Schell, die den Test durchführt und als Besitzerin des Geräts registriert ist, sehr zuverlässig und in Windeseile im ersten Versuch entsperren. Was heißt also, etwas funktioniert „zuverlässig“? Bevor wir zu sehr in die Philosophie abdriften – die Antwort ist eigentlich sehr einfach. Menschen verbinden mit „Zuverlässigkeit“ oft auch „Sicherheit“. Das lässt sich durch die Google-Suche zu Synonymen von Zuverlässigkeit sofort erkennen. Man kann sich auf etwas „verlassen“. Im Falle des Huawei P20 Pro darauf, dass es auf jeden Fall entsperrt wird. Auch mit einem einfachen Selfie, das witzigerweise mit dem Portraitmodus des iPhone X aufgenommen wurde.

Keiner braucht die Notch

Die zahlreichen Vergleiche zwischen Face-ID des iPhone-X und Face Unlock in jedem X-beliebigen Smartphone sind also irreführend. Zweiter Super-Vergleich vieler Smartphone-Hersteller ist außerdem die Notch. Die ist kleiner als beim iPhone X! Ja – aber dafür haben auch nicht zahlreiche Ingenieure an ihr gefeilt, um die aktuell sicherste Gesichtsentsperrung auf dem Markt in ihr zu „verstecken“. Ob das nun schön geworden ist, darüber wird seit September 2017 beherzt gestritten. Apples teuerstes iPhone aller Zeiten bietet jedenfalls eine sehr sichere Gesichtsentsperrung. Die Notch in Android-Smartphones ist ausschließlich ein Design-Merkmal.

Das sieht man vor allem daran, dass Samsung als einziger Smartphone-Hersteller in diesem Jahr mit der neuen S9-Reihe darauf verzichtet hat. Nutzt man die Notch nicht für bestimmte Sensoren,  gibt bei einem Android-Smartphone schlicht keinen Grund, eine Notch zu verbauen Zudem haben sie es auch gar nicht nötig. Diese Hersteller sind an vielen Stellen deutlich innovativer und dürften wagemutiger sein als die Teams um Jony Ive bei Apple, die mit jedem Produkt anscheinend viel zu verlieren haben.

Face Unlock seit Android Ice Cream Sandwich möglich

Bereits seit vielen Jahren können Besitzer eines Android-Smartphones das Display ihres Handys mit dem Gesicht entsperren. Lange bevor iPhone-Nutzer das konnten. Das Gesicht wird dabei von der Selfie-Kamera erfasst und dient dann als Referenz zum Entsperren. Wer auf seinem neuen Huawei P20 Pro Face Unlock einrichtet, wird kurz vor der Konfiguration zumindest darauf hingewiesen, dass die Entsperrmethode durch „ähnlich aussehende Gegenstände“ überlistet werden kann. Seit Android 4.0 Ice Cream Sandwich im Jahr 2011 vorgestellt wurde, ist Face Unlock verfügbar und wird von einigen Smartphone-Herstellern in die eigene UI eingebunden. 2011 – das war einige Zeit bevor umfangreiche Diskussionen um Big Data, beklemmende Enthüllungen von Edward Snowden und ernste Forderungen von Privatsphäre im Internet zur Tagesordnung gehörten. Eine Weiterentwicklung des sensiblen Android-Features Face Unlock ist bislang trotzdem nicht zu beobachten.

Die Kollegen von Winfuture haben bereits vor sieben Jahren getitelt, dass Androids Entsperrmethode mit einem Foto ausgetrickst werden kann. Bis heute hat sich daran absolut nichts geändert. Auch damals hatten Smartphone-Hersteller innerhalb der Android-Einstellungen darauf hingewiesen, dass ähnlich aussehende Objekte das entsprechende Gerät entsperren könnten. Warum ist das eigentlich immer noch so?

Huawei P20 Pro ohne Infrarot-Sensor

Gründe hierfür finden sich vor allem auf technischer Ebene, denn die Differenzen zwischen Apples Face ID und das Android Feature Face Unlock könnten größer nicht sein. Apple hat seinem vergleichsweise pfundigen Jubiläums-iPhone einen A11-Bionic-Chip verpasst, dessen TrueDepth-Kamera das Gesicht des Nutzers in ein mathematisches Modell verwandelt. 30.000 Infrarot-Punkte projiziert der Sensor dabei auf das Gesicht und gibt die Informationen an die Neural Engine des A11-Bionic-Chips. In einigen YouTube-Videos lässt sich das gut erkennen, denn hier wurde der Entsperrvorgang des iPhone X sichtbar gemacht.


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Laut Apple verwandelt der A11-Bionic-Chip dabei die Tiefenkarte und das Infrarotbild des Nutzers in eine mathematische Darstellung und vergleicht diese mit anfänglich registrierten Gesichtsdaten. Diese müssen iPhone-X-Nutzer entweder während der Einrichtung des iPhones mit kreisenden Kopfbewegungen liefern oder nachträglich innerhalb der Einstellungen bei „Face ID & Code“ einrichten. Das 3D-Abbild des iPhone-X-Nutzers als Referenz zum Entsperren ermöglicht zudem auch die Funktionalität trotz Bartwuchs, Make-Up oder Sonnenbrille.

Face Unlock nur über Frontkamera

Das Huawei P20 Pro sowie zahlreiche andere Android-Smartphones, die das Android-Feature Face Unlock nutzen, wollen ebenfalls das Gesicht des Besitzers registrieren. Doch anderes als Apples Face ID registriert die Gesichtserkennung im Huawei P20 Pro nicht ein anatomisch getreues 3D-Modell des Smartphone-Besitzers. Ein biometrischer Abgleich findet bei Face Unlock nicht statt. Stattdessen genügt der Front-Kamera des Huawei P20 Pro ein zweidimensionales Bild, das nicht über einen Infrarot-Sensor sondern über die Selfie-Kamera aufgenommen wird. Der Grund, weshalb Huaweis, Asus’ und Xiaomis’ Notches wesentlich kleiner sein können als die des iPhone X. Es befinden sich keine Sensoren innerhalb der Notch, die für die Gesichtsentsperrung relevant sein könnten. Im Datenblatt des Huawei P20 Pro ist zwar von einem Tiefensensor die Rede. Dieser befindet sich jedoch auf der Rückseite und ist ausschließlich für AR-Features verantwortlich.

Die Sicherheitsunterschiede waren bei der Einführung von Fingerabdrucksensoren nicht so klaffend. Relativ zügig konnten sich das Android- sowie das Apple-Lager zusammenraufen und beiden Nutzergruppen eine sichere Methode zur Entsperrung des Smartphones bieten. Was sich Handy-Nutzer und Technik-Experten wünschen sollten, ist nicht der Wettstreit um die schnellste Entsperrmethode und die kleinste Notch, sondern der Kampf um die beste Innovation zwischen Smartphone-Herstellern, die sich auch in Sachen Sicherheit ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.