Gigaset GS185: So entsteht das Smartphone „made in Germany“

In der Smartphone-Branche ist es eine kleine Sensation. Mit dem Gigaset GS185 fertigt ein Hersteller erstmals nach langer Zeit wieder ein Mobiltelefon in Deutschland. Das gab es zuletzt vor über zehn Jahren. Im Gegensatz zu den früheren Geräten von Siemens, BenQ und Nokia handelt es sich beim GS185 jedoch nicht um ein einfaches Handy. Daher verdient es sich sogar den Superlativ, das erste Smartphone „made in Germany“ zu sein. Wie einem kleinen Hersteller wie Gigaset das gelingt und was das für Dich als Käufer eines solchen Geräts bedeutet, haben wir bei einem Werksbesuch im münsterländischen Bocholt für Dich herausgefunden.

Zu Besuch beim ersten „deutschen“ Smartphone

Das 5,5 Zoll große Gigaset GS185 ist ein schickes, aber relativ schlicht ausgestattetes Einsteiger-Smartphone mit im besten Sinne durchschnittlichen technischen Eigenschaften. Lediglich der 4.000 mAh starke Akku und der Multi-Gesten-Fingerabdrucksensor stechen aus der Masse heraus. Zu einem angemessenen Preis von 179 Euro ist es seit knapp einem Monat im Handel erhältlich.

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Seitdem verlassen pro Woche etwa 2.000 Exemplare des Gigaset GS185 die Fertigungsstrecke in einem Nebengebäude des Bocholter Werks. Diese Zahl könnte der Hersteller kurzfristig auf bis zu 6.000 Stück hochschrauben, wenn sein Plan greift und der Markt Gefallen an Smartphones aus deutscher Produktion findet.

Verglichen mit der millionenfachen Festnetz-Produktion in der wenige hundert Meter entfernten Haupthalle, backt Gigaset im Smartphone-Bereich noch kleine Brötchen. Bislang beschäftigt der Smartphone-Bau acht Männer und Frauen direkt an der Fertigungsstrecke und rund 30 weitere Kräfte zum Beispiel in der Produktionstechnik, dem Produktdesign, Vertrieb und Kundenservice.

Gigaset Werksbesuch Balazs GalQuelle: Berti Kolbow-Lehradt
Die handy.de-Redaktion gehört zu den ersten Journalisten, die hinter die Kulissen der Smartphone-Produktion von Gigaset blicken durfte. Hier unser Video-Redakteur Balazs Gal.

An diesen Dimensionen wird der Pilotcharakter des Vorhabens deutlich. Trotz großer Zuversicht muss sich der Erfolg erst noch zeigen. Dass uns Gigaset dennoch einen Blick darauf werfen lässt, spricht für das Selbstvertrauen und die Glaubwürdigkeit des Herstellers. Viele andere Smartphone-Hersteller zögern damit, weil sie weder Betriebsgeheimnisse preisgeben, noch in Diskussionen um Produktionsbedingungen verwickelt werden möchten.

Warum es etwas Besonderes ist, ein Smartphone in Deutschland zu bauen

Lange Zeit galt die Devise, dass Unterhaltungselektronik für den Massenmarkt nicht mehr rentabel in Deutschland herzustellen ist. Nur ganz wenige Traditionsmarken wie etwa Metz, Loewe und Leica sind noch hierzulande aktiv, weil sich die Lohnkosten angesichts ihrer Hochpreisprodukte rechnen. Dass Gigaset mit einem preisgünstigen Einsteiger-Smartphone den Sprung zurück nach Deutschland wagt, ist also in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Ob Gigaset damit eine Trendwende einleitet, muss die Zeit zeigen. In jedem Fall bricht der Hersteller mit einer branchenüblichen Fertigungsstrategie und schreibt damit ein kleines Kapitel Industriegeschichte.

Was am Gigaset GS185 konkret „made in Germany“ ist

„Made in Germany“ ist nicht einfach nur ein geflügeltes Wort, sondern ein Gütesiegel, das nur Produkte zieren darf, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Auf das Gigaset GS185 trifft dies zu, obwohl das Gerät gar nicht zu vollständig hierzulande entsteht. In der Fertigungsstrecke in Bocholt fügen die Beschäftigten die einzelnen Komponenten des GS185 lediglich zusammen. Anschließend spielen sie die Android-Software drauf, testen die Funktionen und die Funkqualität und verpacken sie.

Bis auf den Gerätekarton stammen jedoch derzeit alle Komponenten von asiatischen Zulieferern. Weil es beim Siegel „made in Germany“ aber nicht nur um den Produktionsanteil geht, darf Gigaset das GS185 dennoch so bezeichnen. „Über 60 Prozent der Wertschöpfung rund um das GS185 entstehen in Deutschland. Dazu zählt zum Beispiel auch das äußere Design des Geräts und die Konzeption des Produkts, also, welche Funktionen es besitzen soll“ erklärt Jörg Wißing, Leiter Automatisierung bei Gigaset in Bocholt.

Gigaset GS185 KomponentenQuelle: Berti Kolbow-Lehradt
Bis auf die Verpackung ganz rechts, werden alle Komponenten des Gigaset GS185 aus Asien importiert. Gigaset wäre aber in der Lage, die Gehäuseschalen und die Leiterplatten selbst zu fertigen.

Perspektivisch plant Gigaset diesen Anteil auf 75 Prozent zu steigern. Das Werk in Bocholt ist nämlich technisch in der Lage, die Kunststoffschalen des Smartphone-Gehäuses sowie die Platinen für die Elektronik selbst zu produzieren. Bislang sieht Gigaset davon ab, weil die Kapazitäten dafür noch für die Festnetztelefone benötigt werden.

Bestimmte Smartphone-Komponenten wird Gigaset aber auch auf lange Sicht nicht selbst fertigen können. Displays zum Beispiel stammen seit Jahren von koreanischen und japanischen Herstellern. Kein deutsches Unternehmen hat das Know-how eigene Panels zu entwickeln und zu bauen. Darin zu investieren, um den Rückstand aufzuholen, kann sich ein kleiner Hersteller wie Gigaset erst recht nicht leisten. „Ein 100-prozentiges Smartphone ‚made in Germany‘ wird es bis auf Weiteres nicht geben“, betont Gigasets Automatisierungschef Jörg Wißing.

Welche Vorteile Dir ein Smartphone aus deutscher Produktion bringt

Technik aus Deutschland wird landläufig mit einer besonders hohen Produkt- und Verarbeitungsqualität assoziiert. Dieses Argument ist aber überholt, weil auch produzierende Unternehmen anderer Länder genauso gute (oder schlechte) Arbeit abliefern können. In diesem Sinne ist auch das Gigaset GS185 nicht höher- oder minderwertiger gefertigt als vergleichbare Geräte. Für uns ist kein Unterschied zur Verarbeitungsqualität anderer Gigaset-Modelle wie das GS270 oder GS370 erkennbar, die komplett importiert werden. Vom werbepsychologischen Aspekt eines „deutschen“ Produkts solltest Du Dich also nicht verleiten lassen.


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Gigasets Ausgangspunkt war auch nicht die Werbepsychologie, sondern die Frage, wie sich der kleine Hersteller im hart umkämpften Smartphone-Markt eine Nische schaffen kann, erklärt uns Unternehmenssprecher Raphael Dörr.  „Es bietet uns einen Wettbewerbsvorteil, wenn wir Mobilfunkprovider und Handelsketten besonders schnell ohne lange Vorlaufzeiten beliefern können. Eine Produktion in Deutschland macht das möglich.“

Diese Nähe zum Markt wird sich für Dich aber nicht spürbar auf den Kauf auswirken. Möchtest Du ein gängiges Smartphone-Modell anschaffen, ist es in der Regel vorrätig. Viel praktischer für Dich ist aber, dass Gigaset das Handy auch in Deutschland selbst repariert. Hast Du einen Displayschaden und schickst das Gerät an Gigaset, erhältst Du es in einem Tag mit Originalteilen repariert zurück. Und zwar Dein eigenes und kein Austausch-Gerät, wo Du Apps und Einstellungen neu einrichten musst.

Gigaset GS185 LasergravurQuelle: Berti Kolbow-Lehradt
Ein Smartphone mit persönlicher Lasergravur. Gigaset liebäugelt damit, dies zum Geschäftsmodell zu machen.

Möchtest Du Dich von der Masse absetzen, könnte ein anderer Aspekt interessant sein. Weil Gigaset so schnell und flexibel liefern kann, will das Unternehmen künftig anbieten, das Smartphone-Äußere individuell anzupassen. Schon jetzt können Großbesteller das Gigaset G185 per Laser mit einer Gravur versehen und angepasste Apps aufspielen lassen. Bis sich eine Mindestbestellmenge runter auf nur ein Gerät reduzieren lässt und trotzdem für den Hersteller rechnet, dauert es aber noch.


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Warum sich Gigasets deutsche Smartphone-Produktion rechnet

Dass sich eine deutsche Fertigung von Einsteiger-Smartphones für Gigaset wirtschaftlich lohnt, hängt damit zusammen, wie der Hersteller die Arbeit organisiert. So beschäftigt der Smartphone-Bau in Bocholt deutlich weniger menschliche Arbeitskräfte, als das bei einer vergleichbaren Produktionsmenge in Asien der Fall wäre. Stattdessen übernehmen Roboterarme 60 Prozent aller Aufgaben und arbeiten mit menschlichen Kräften buchstäblich Hand in Hand.

Gigaset Smartphone-Fertigung RoboterQuelle: Berti Kolbow-Lehradt
Kollege Roboter: Gigasets Smartphone-Fertigung rechnet sich, weil 60 Prozent der Aufgaben Roboterarme übernehmen und mit Menschen Hand in Hand arbeiten.

Während unserer Werkstour konnten wir anschaulich beobachten, wie sich Mensch und Maschine ergänzen. Nicht überraschend übernahmen die Roboter einfache, standardisierte Vorgänge und arbeiteten ihren menschlichen Kollegen zu, denen komplexe feinmotorische Handgriffe vorbehalten bleiben. Beispielsweise griff ein Roboterarm das Display und fügte es in die vorbereitete Rückschale ein, während eine Mitarbeiterin die Schutzfolie vom Bildschirm entfernte und die Kabelverbindungen montierte. Dabei bleibt die Verantwortung stets in den Händen des Menschen. „Jeder Beschäftigte durchläuft mit einem Gerät alle Fertigungsphasen. Das ist viel motivierender und weniger ermüdend als immer wieder den gleichen Arbeitsschritt zu wiederholen“, erklärt Jörg Wißing.

Gigaset wird ein zweites Smartphone-Modell in Deutschland produzieren

Das GS185 bleibt definitiv nicht das einzige Smartphone „made in Germany“. Gigaset hat uns am Rande der Werkstour bestätigt, in diesem Jahr mindestens ein weiteres Modell in Bocholt zu fertigen. Mutmaßlich dürfte es sich dabei um den Nachfolger des nächst höherrangigen Modells GS270 handeln. Angesichts des bisherigen Produktzyklus wäre dieser für den Spätsommer 2018 zu erwarten.

Sofern nichts Unvorhergesehene dazwischenkommt, ist es wahrscheinlich, dass weitere Modelle folgen werden. „Wegen des höheren Roboteranteils an der Arbeitsleistung liegen die reinen Produktionskosten pro Smartphone in Bocholt unter denen von unseren Auftragsfertigern“, erläutert Jörg Wißing. Und je mehr Smartphones Gigaset in Bocholt montiert, desto attraktiver wird es, dort auch weitere Komponenten selbst zu fertigen. Dadurch sinken die Produktionskosten pro Stück abermals. In diesem Sinne hat ein „Smartphone aus Deutschland“ nicht nur einen tollen Marketing-Klang, sondern ist für Gigaset auch ein gutes Geschäft.

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